Als mit dem 1. Januar 2015 der Leistungsort bei verschiedenen Dienstleistungen zu dem Ort verschoben wurde, an dem der Auftraggeber sitzt und nicht mehr der Auftragnehmer, wurde eine Sonderregelung geschaffen. Diese als Mini-One-Stop-Shop-Verfahren bekannte Regelung sah vor, dass sich ein Auftragnehmer nicht in allen > 20 EU-Mitgliedsstaaten die jeweilige Umsatzsteuer selbst abführen muss. All diejenigen, die in einem EU-Mitgliedstaat ansässig waren bzw. sind, konnten davon Gebrauch machen.
Dabei musste man nur einmalig, in Deutschland beim Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) regelmäßig eine Umsatzsteuererklärung einreichen und angeben, welchen Umsatz man für Auftraggeber in welchem EU-Mitgliedsstaat gemacht hat.
Die Umsetzung
Für mich hieß das konkret: Unser Shop-System musste plötzlich mit vielen verschiedenen Umsatzsteuer-Berechnungen und einer Erkennung des Landes des Kunden ausgestattet werden, denn jedem potenziellen Kunden musste direkt die für ihn geltende Umsatzsteuer ausgewiesen werden – vor Angabe persönlicher Daten. Insgesamt führte das dazu, dass unser Shopsystem mehrere Monate später erst veröffentlicht wurde. Der Aufwand war also enorm. Insbesondere vor dem Hinblick, dass die Einnahmen des KittMedia Shops primär aus Deutschland kommen (> 90 %).
Weiterhin musste ich mein eigens geschriebenes Auftragssystem für Aufträge, die über die Inhalte des Shops hinausgehen, anpassen. Vorher benötigte ich keinerlei Angaben der Umsatzsteuer, da ich in Deutschland von der sogenannten Kleinunternehmerregelung (§ 19 UStG) Gebrauch machte und nach wie vor mache. Auch hier gab es demnach einige Extrastunden der Implementierung.
Zusätzlich kam dann noch die bereits erwähnte regelmäßige Steuererklärung beim BZSt hinzu. Im Grunde konnte ich mir die Daten durch einfache SQL-Abfragen aus den Datenbanken holen. Dennoch musste ich mich jedes Mal wieder manuell in Elster Online einloggen und die Daten dort übertragen. Außerdem musste die Überweisung der Umsatzsteuer noch getätigt werden. Eine mühselige Arbeit.
Der Wendepunkt
Als ich vergangenen Freitag Abend nach Hause kam, erwartete mich überraschenderweise ein Brief vom BZSt im Briefkasten. Das Resultat: Mit einem Entwurf zum „Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“ setzt der Bund eine Änderung der Richtlinie (Artikel 58 MwSt-SystRL) der EU um, wodurch man unter gewissen Umständen nicht mehr am Mini-One-Stop-Shop-Verfahren teilnehmen muss.
Voraussetzungen
Diese Umstände sind, dass man zum einen in nur einem EU-Mitgliedsstaat ansässig ist und zum anderen der Leistungsumfang an Auftraggeber in anderen EU-Mitgliedsstaaten im laufenden und im vergangenen Jahr nicht höher als 10.000 € ist.
Der Knackpunkt
So gut die Einsicht der EU auch ist, dass selbst das Mini-One-Stop-Shop-Verfahren für kleine Unternehmen (und vermutlich auch für die Verwaltungen bei den einzelnen Finanzämtern) viel zu groß ist, kommt sie dann doch etwas spät. Der „Schaden“ ist zu großen Teilen bereits angerichtet: Die anfängliche Implementierung war notwendig, um rechtskonform in andere EU-Mitgliedsstaaten Dienstleistungen zu verkaufen. Nun ist ein Teil unserer Software, die Monate in der Umsetzung war, nicht mehr notwendig. Mehrere Monate, die wir mit sinnvolleren Dingen hätten füllen können, als letztendlich Umsatzsteuer in geringer dreistelliger Summe über mehrere Jahre an das BZSt zu schicken, dessen Verwaltung vermutlich am Ende bereits teurer war.
Anscheinend hat sich vorher noch niemand darüber Gedanken gemacht, ähnliche Strukturen wie die in Deutschland bereits bestehende Kleinunternehmerregelung auch EU-weit einzubringen. Das wird nun mit der Umsetzung des oben genannten Gesetzesentwurf geschehen – allerdings eben 4 Jahre zu spät.
Außerdem stellt sich nun die Frage: Was gebe ich denn bei meinen Rechnungen für Auftraggeber aus anderen EU-Mitgliedsstaaten an? Umsatzsteuerbefreit gemäß § 19 UStG trifft hier nach wie vor nicht zu …